Protein Lab – Ein Startschuss für die Beschleunigung der Proteinwende

Das Protein Lab soll die dringend notwendige Proteinwende in der Schweiz vorantreiben. Im September 2023 startet das Projekt, das an drei ganztägigen Modulen ausgewählte Expertinnen und Experten aus verschiedenen Branchen und Sektoren zusammenführt, um Lösungen für ein nachhaltiges Ernährungssystem zu erarbeiten – mit Fokus auf alternative Proteine.

Wir haben uns mit Projektleiter und Catalyst Silvano Lieger über die Hintergründe und Ziele des Protein Labs sowie die Herausforderungen beim Umbau hin zu mehr pflanzlichen und alternativen Proteinquellen ausgetauscht. Silvano erklärt im Interview, wie das von collaboratio helvetica federführend geleitete Format der Social Innovation Labs helfen soll, die unterschiedlichen Akteure zusammenzubringen und den Wandel gemeinsam voranzutreiben.

1. Silvano, was ist die Motivation hinter dem Protein Lab? Warum ist es deiner Meinung nach jetzt an der Zeit, dieses Projekt zu starten?

Silvano: Angesichts der alarmierenden wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Klimawandel, den anhaltenden Missständen in der industriellen Tierproduktion und der steigenden Verfügbarkeit valabler Alternativen zu traditionellen Tierprodukten ist es höchste Zeit, die Proteinwende in der Schweiz zu beschleunigen. Ich bin davon überzeugt, dass die Schweiz in dieser «Protein Transition», wie ich sie nenne, eine Vorreiterrolle einnehmen kann. Wir können es uns einfach nicht mehr leisten, diese dringend notwendige Transformation weiter hinauszuzögern. Das Protein Lab soll den Startschuss für konkrete Lösungen und Massnahmen geben.

2. Wie ist das Konzept des Protein Labs entstanden? Gab es bestimmte Vorbilder oder Inspirationen?

Silvano: Ich wurde 2021 als Teilnehmer des Catalyst Labs ausgewählt – ein Projekt, das mir die Augen geöffnet hat, wenn es darum geht, zielgerichtet systemischen Wandel zu fördern. Das Konzept des Protein Labs orientiert sich an Social Innovation Laboratories (SILs), einem partizipativen Ansatz, bei dem relevante Akteure gemeinsam an systemischen Herausforderungen arbeiten. Auch das Catalyst Lab arbeitete in dieser Struktur. Solche Labs haben sich also bereits in anderen Bereichen bewährt, um echte Veränderungen voranzutreiben. Für das komplexe Ernährungssystem, und speziell für das Thema alternativer bzw. nachhaltiger Proteine, erschien mir dieser kollaborative Ansatz am geeignetsten.

3. Warum hast du dich spezifisch für das Modell der Social Innovation Labs entschieden? Was sind die Vorteile dieses Ansatzes?

Silvano: Der grosse Vorteil dieses partizipativen Formats liegt darin, dass wir die Perspektiven und das Fachwissen einer möglichst umfassenden Gruppe relevanter Akteuren integrieren können. Wir betrachten das System alternativer Proteine als Ganzes und entwickeln gemeinsam Lösungen, anstatt isoliert an einzelnen Symptomen zu arbeiten. Nur so können wir die Komplexität angehen und Veränderungen anstossen.

4. Wie wurden die Teilnehmer für das Protein Lab ausgewählt? Welche Kriterien waren dabei entscheidend?

Silvano: Bei der Auswahl der Teilnehmenden war es entscheidend, die ganze Bandbreite der Schlüsselakteure abzubilden – von der Wissenschaft über Wirtschaft und Politik bis zur Zivilgesellschaft. Nur wenn wir die unterschiedlichen Bereiche wie Produktion, Investment, Gesundheit oder Konsum vertreten haben, können wir dem komplexen System gerecht werden und passende Lösungsansätze entwickeln.

5. Welche konkreten Ziele und Meilensteine hast du dir für das Protein Lab gesetzt? Woran würdest du den Erfolg messen?

Silvano: Konkrete Ziele sind zunächst ein gemeinsames Systemverständnis und die Identifikation der wichtigsten Hebelpunkte, um die Proteinwende in der Schweiz zu beschleunigen. Basierend darauf wollen wir einen Aktionsplan mit den Teilnehmenden erarbeiten. Der Erfolg des Labs zeigt sich darin, ob die entwickelten Massnahmen und Projekte tatsächlich umgesetzt werden und messbare Fortschritte erzielen, aber auch, ob sich andere relevante Kollaborationen ergeben.  

6. Wo siehst du persönlich die grössten Herausforderungen bei der Beschleunigung der Proteinwende in der Schweiz?

Silvano: Ein Ziel dieses Prozesses ist es, eine Offenheit gegenüber Fragen wie dieser zu haben und das System eine Antwort finden zu lassen. Aber natürlich habe ich persönlich meine eigenen Ideen und Einschätzungen: Als grösste Herausforderungen sehe ich ungenügend entwickelte Lieferketten, fehlende Anreize für Innovationen, ein enorm effektives System der bestehenden Fleischindustrie, sowie – wenig überraschend – mangelnde Zusammenarbeit und Koordination zwischen den Sektoren. Hier wollen wir im Lab konkret ansetzen, um diese Hindernisse abzubauen und die Transformation anzustossen.

7. Welche Rolle spielen die verschiedenen Partner und Förderer des Projekts? Wie unterstützen sie das Protein Lab?

Silvano: Die Partner und Förderer stellen uns ihr Fachwissen und die benötigten Ressourcen zur Verfügung, was enorm wertvoll ist. Die Berner Fachhochschule wird den Prozess im Rahmen eines Forschungsprojektes verfolgen, aber auch inhaltliche Inputs liefern und den Durchführungsort zur Verfügung stellen. Collaboratio helvetica wird die jahrelange Erfahrung im Bereich Design & Facilitation der Module einfliessen lassen und in meiner Rolle als Co-Geschäftsleiter von Sentience bin ich für den inhaltlichen Fokus und das Zusammenbringen der Stakeholder zuständig. Getragen wird dieser Prozess zusätzlich von SDSN Switzerland, der Minerva-Stiftung und ProVeg International. Ihre Unterstützung steigert die Legitimität des Prozesses und den möglichen Impact des Protein Labs zusätzlich.

8. Plant ihr, das Format des Protein Labs weiterzuentwickeln oder auszubauen, wenn es erfolgreich ist?

Silvano: Sollte sich der Ansatz als erfolgreich erweisen, kann das Projekt sicher in eine zweite Phase gehen. Zunächst wollen wir aber die Resultate der diesjährigen Durchführung auswerten. Die Methode hat meiner Ansicht nach grosses Potenzial, um komplexe Herausforderungen wie diese zu lösen.

9. Was ist deine persönliche Motivation, dich für die Proteinwende einzusetzen? Was treibt dich an?

Silvano: Mich treibt die tiefe Überzeugung an, dass wir unser Ernährungssystem zum Wohle von Mensch, Tier und Umwelt verändern müssen. Wenn das Protein Lab einen konkreten Beitrag zu diesem dringend notwendigen Wandel leisten kann, wäre das ein grosser persönlicher Erfolg für mich.

“NUR WENN DAS KOMPLEXE SYSTEM ALTERNATIVER PROTEINE ALS GANZES BETRACHTET WIRD, KÖNNEN PASSENDE LÖSUNGSANSÄTZE ENTWICKELT WERDEN.”

Silvano Lieger - Co-Geschäftsführer bei Sentience Politics, Public Affairs Manager bei Planted & Catalyst (SDGs 2 & 12)


Dieses Gespräch wurde im August 2023 geführt.


Silvano Lieger
is Co-Managing Director at Sentience Politics. In this position, he is responsible for fundraising, communication and strategy of the organization, which promotes progressive politics for animals on different levels. Together with his team, Silvano wants to contribute to a systemic change in the food system - working towards a sustainable, small-scale farming system in which animal rights are recognized and respected in addition to dignity.

 

Über Sentience

Sentience Politics (kurz: Sentience) trägt die Interessen nicht-menschlicher Tiere in die Mitte der Gesellschaft. Das englische Wort «Sentience» steht für die Empfindungsfähigkeit – und insbesondere die Fähigkeit, Glück und Leid zu empfinden. Neben uns Menschen besitzen auch nicht-menschliche Tiere diese Fähigkeit. Sie begründet wesentlich, warum wir in einem moralisch relevanten Sinne geschädigt werden können. Die Empfindungsfähigkeit ist daher politisch von zentraler Bedeutung.

Sentience wurde 2014 als Projekt der Stiftung für Effektiven Altruismus gegründet und ist seit 2017 als steuerbefreiter Verein konstituiert. Team und Vorstand werden bei der inhaltlichen und politischen Arbeit durch einen wissenschaftlichen Beirat und ein breites Netzwerk an Fachexpert:innen aus den Bereichen Nachhaltigkeit, Tierethik und Landwirtschaft unterstützt.

 

Über die Berner Fachhochschule

Die Berner Fachhochschule BFH ist eine praxisorientierte Hochschule mit acht Departementen. Ausbildung, Weiterbildung und Forschung gehören zu ihrem Kernauftrag.


Die BFH betreibt anwendungsorientierte Forschung und Entwicklung. Das heisst, die Leistungen in diesen Bereichen werden entweder im Auftrag von Kunden oder selbstständig im Hinblick auf die Bedürfnisse des Marktes und der Arbeitswelt erbracht. Dabei arbeitet die BFH eng mit Wirtschaftsunternehmen, öffentlichen Institutionen, Kulturschaffenden und Kulturbetrieben, Verwaltungsstellen und der Gesellschaft zusammen. Die BFH konzentriert sich dabei auf rund zwanzig strategische Forschungsschwerpunkte, an denen alle Departemente beteiligt sind.

 

Über collaboratio helvetica

Um den Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen, benötigen wir neue Formen der Zusammenarbeit und eine ganzheitliche Denkweise. Die Schweiz hat eine lange Tradition der Kooperation und des Dialogs über Sprachbarrieren und Religionsunterschiede hinweg. Collaboratio helvetica glaubt daher an das einzigartige Potenzial der Schweiz, mit partizipativen Ansätzen zu einem Wandel hin zu mehr ökologischer Verantwortung, Menschlichkeit und Gemeinwohl beizutragen.

Die Organisation unterstützt diese gesellschaftliche Transformation mit der Etablierung eines sektorübergreifenden Innovationsökosystems, dem Aufbau von Kapazitäten für systemischen Wandel und der Zusammenführung von Stakeholdern rund um die komplexen Herausforderungen, die in den UN-Nachhaltigkeitszielen (SDGs) adressiert werden. Collaboratio helvetica befähigt engagierte Menschen und Organisationen, tief verwurzelte Einstellungen und Denkweisen zu verändern, Dialoge wirksamer zu führen, neue Zusammenarbeitsformen zu implementieren und so gemeinsam die Schweiz von morgen neu zu denken und zu gestalten.

Previous
Previous

foodaktuell – Greenpeace fordert mehr Nachhaltigkeit von der Migros

Next
Next

Nora Wilhelm and Diana Oser at CONVENTION4U 2023 in Alpbach, Austria