Das 5R-Framework - Eine Systembetrachtung

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Immer mehr Menschen stimmen zu, dass wir auf einen systemischen Wandel hinarbeiten müssen. Aber wie können wir diesen definieren, und wo sollen wir anfangen? Systemischer Wandel kann als Veränderung der Funktionsweise eines Systems von innen heraus verstanden werden. Neben tiefgreifenden Verschiebungen der zugrundeliegenden Paradigmen umfasst dies ebenfalls Veränderungen in den Regeln, Rollen, Relationen (Beziehungen) und Ressourcen, die ein bestimmtes System steuern (USAID, 2016). Eine Veränderung in einem dieser Punkte wird hoffentlich auch zu einer Veränderung der Resultate und der Auswirkungen eines Systems führen. Üblicherweise  reagieren wir, wenn Unzulänglichkeiten, Herausforderungen oder problematische Symptome erkannt wurden. Das 5R-Framework kann ein sehr nützlicher Ausgangspunkt sein, wenn man - allein oder in einer Gruppe - anfängt aus einer systemischen Perspektive heraus zu arbeiten. Legen wir also los!

Zuerst einige Definitionen:

  • Regeln enthalten alle Gesetze, Richtlinien, Normen, Protokolle, Vorschriften, Traditionen und andere Elemente, welche das Verhalten und die Prozesse innerhalb eines Systems steuern.

  • Rollen beziehen sich auf formelle oder informelle Rollen, die von Akteuren gegeben oder von ihnen eingenommen werden.

  • Relationen (Beziehungen) umfassen alle Interaktionen und Verbindungen oder deren Mangel sowie deren Qualität zwischen verschiedenen Akteuren. Dazu gehören auch Beziehungen, die innerhalb eines Systems ausgegrenzt oder nicht anerkannt werden.

  • Ressourcen beziehen sich sowohl auf den Umfang als auch auf die (Nicht-)Verteilung der verschiedenen Ressourcen des Systems, einschließlich finanzieller und personeller Ressourcen, Informationen, Macht und mehr.

Zu Beginn dieses Prozesses ist es in der Regel sinnvoll, das System abzubilden. Als Hilfestellung bietet sie der Toolbox-Eintrag zum an. Dabei werden Rollen und Relationen innerhalb Ihres Systems definiert. Sobald dieser Schritt abgeschlossen ist, kann der Prozess wie folgt weitergeführt werden:

Resultate

Identifizerien der Resulate des Systems: Was sind die aktuellen Ergebnisse? Was sind die Auswirkungen? Meistens finden sich in diesem Abschnitt einige schockierende Fakten oder Statistiken. Alle Missstände, die aus der
aktuellen Situation des Systems hervorgehen, sollten schriftlich festgehalten werden. Aber auch Ergenisse, die als positiv, innovativ und inspirierend wahrgenommen werden und erhalten oder verstärkt werden sollten, werden an dieser Stelle aufgelistet. Dabei gibt es keine zeitliche Einschränkung. Auch Ergebnisse, die schon lange zurückliegen (Jahrzehnte und Jahrhunderte), werden erwähnt.

Ressourcen

Im nächsten Schritt werden alle Ressourcen festgehalten, die in das System fließen.  Wo und in welchem Umfang fließen Ressourcen wie Geld, Macht, Sichtbarkeit usw. in dieses System ein? Wie und mit wem werden sie geteilt, und wer hat Zugang zu welchen Ressourcenströmen? Dazu gehören auch Baumaterialien, Land, menschliche Ressourcen, Wissen, Traditionen, sogar religiöse Ressourcen - es gibt alle Arten von Ressourcen, auf die wir als Gesellschaft zurückgreifen. Der Fokus liegt auf den Ressourcen, die für dieses spezifische System/Thema relevant sind oder als relevant angesehen werden sollten. Es ist wichtig zu notieren, ob  eine bestimmte Ressource fehlt oder nicht als solche anerkannt ist.

Regeln

Welche Gesetze oder Regeln gelten in diesem System? Welche kulturellen oder sozialen Codes und Protokolle existieren? Das können Regeln in der Politik und des Staates sein. Aber auch an Vereinbarungen, unausgesprochene Regeln, Verträge, obligatorische oder übliche Abläufe gehören dazu.  Ein System wird häufig beeinflusst durch viele Regeln aus verschiedenen Bereichen, durch Leitbilder und Traditionen, die ein bestimmtes System oder eine Gesellschaft über Jahrhunderte geformt haben.  

Auf diese Weise entsteht die erste Iteration der Abbildung des Systems inklusive der 5R! Dieser Prozess wird nicht allein oder einmalig durchgeführt. Es ist vielmehr ein kollektiver und iterativer Prozess und kann die Vertiefung und die Schaffung eines gemeinsamen Verständnisses eines bestimmten Systems unterstützen.

In einem nächsten Schritt werden Stakeholder-Interviews mit Akteuren aus dem gesamten System geführt, ihre Ansichten diskutiert und weitere Perspektiven gesammelt. Die Abbildung des Systems wird sich mit jedem Gespräch weiterentwickeln. Eine Alternative zu diesem Vorgehen ist das gemeinsame Erstellen einer Abbildung mit einer Gruppe von Stakeholdern. 

Im gesamten Prozess ist es wichtig zu verstehen, dass die Verwendung eines solchen Instruments den Eindruck erwecken kann, alles genau verstanden zu haben. Aber Systeme und Arbeit zum systemischen Wandel ist nie so einfach. Wann immer versucht wird, eine einmalige „Lösung“ oder einen linearen Plan zu entwerfen, der ohne Zusammenarbeit ausgeführt wird, sollte man sich mit der Frage auseinandersetzen, ob dies wirklich der richtige Weg ist, um zum systemischen Wandel beizutragen. Unserer Erfahrung nach ist dies meistens nicht der Fall. Daher empfehlen wir, das Eisbergmodell parallel zu diesem Modell zu verwenden, um über die Symptomebene hinauszugehen – am besten ergänzt durch den Impact Loop. Erinnern wir uns immer wieder daran, dass jedes Werkzeug dazu da ist, die Komplexität zu vereinfachen und uns zu helfen, gemeinsam besser zu navigieren. Es sollte uns nicht blind machen, indem wir unser Modell mit der Realität verwechseln, sondern uns helfen, verborgene, aber einflussreiche Dynamiken zu erkennen. Indem wir das Implizite sichtbar machen und uns dessen - individuell und kollektiv - bewusst werden, können wir Schritt für Schritt zu einer gesünderen und lebensbejahenden Gesellschaft beitragen.

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Vorlagen

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Nora Wilhelm ist die Mitbegründerin und Catalyst von collaboratio helvetica. Sie war bereits mit 15 Jahren als Aktivistin tätig und engagierte sich im Europäischen Jugendparlament. Nora Wilhelm ist spezialisiert auf Zusammenarbeit, Selbstorganisation, Ecosystem Leadership, systemischen Wandel und soziale Innovation. Sie moderiert Multi-Stakeholder-Prozesse und Social Innovation Labs und fördert die Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele in der Schweiz. Als junge Führungspersönlichkeit ist sie eine häufig gebuchte Rednerin, die für ihre Arbeit von der Schweizer Regierung, der UNESCO und anderen Institutionen ausgezeichnet wurde. 2020 wurde sie auf die Forbes-Liste der „30 under 30“ der Schweiz gesetzt.

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