Zukunft finanzieren: Die entscheidende Rolle von Stiftungen

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Sowohl die Praxis als auch eine wachsende Zahl von Studien zeigen, dass die komplexen Herausforderungen, denen wir gegenüberstehen, wie Klimawandel und Ungleichheit, mit dem gegenwärtigen Denken nicht erfolgreich angegangen werden können. Somit wird es schwierig für einzelne Organisationen oder Branchen, eines der in der Agenda 2030 festgelegten Ziele allein zu erreichen. Angesichts der Dringlichkeit gewinnt die Frage an Wichtigkeit, wie ein Systemwechsel - eine breit angelegte Transformation, die alle betrifft - im Gegensatz zu einzelnen Massnahmen durch Direkthilfe erreicht werden kann. Dies erfordert wiederum branchenübergreifende Kooperationen und Innovationsprozesse, die den Fokus von der Bekämpfung der Symptome auf die Bekämpfung der Ursachen verlagern.

Team

Diese Diskussion ist auch im Bereich der Stiftungen in der Schweiz angekommen. Nora Wilhelm, Mitbegründerin und Katalysatorin von collaboratio helvetica, wurde eingeladen, an einem Workshop mit dem Titel „Gesellschaftliche Herausforderungen brauchen branchenübergreifende Lösungen“ teilzunehmen - veranstaltet als Stiftungsgespräch zum Thema „Foundation for Future“ im Rahmen des Schweizer Stiftungssymposiums 2020. In seiner Eröffnungsrede sagte Dr. Lukas von Orelli, Präsident von Swiss Foundations: „Wenn wir es wagen, die Grenzen dessen, was wir für möglich hielten, gemeinsam zu verschieben, können wir den systemischen Wandel fördern.“

Um Veränderungen in Richtung sozialer und ökologischer Ziele, die derzeit nicht durch Marktstrukturen oder staatliche Maßnahmen angegangen werden, zu verwirklichen, spielen Stiftungen eine Schlüsselrolle. In der Tat haben Stiftungen viele wichtige Fortschritte in allen Arten von sozialen und ökologischen Themen in der Schweiz erzielt und ermöglicht. 

Und sie überlegen ständig, wie sie ihre Rolle besser darstellen können. Dies wird durch die zahlreichen Initiativen veranschaulicht, die von Stiftungskoalitionen zu Schlüsselthemen durchgeführt werden, wie beispielsweise:

Dr. Thomas Zwiefelhofer, Präsident der VLGST, Vereinigung liechtensteinischer gemeinnütziger Stiftungen und Trusts e.V., hat vor kurzem kommentiert, dass „gemeinnütziges Engagement und Unternehmertum sich nicht gegenseitig ausschliessen“. Er weist darauf hin, dass Stiftungen Projekte gezielter und langfristiger unterstützen können als andere Interessengruppen. „Indem gemeinnützige Stiftungen umstrittene und teils auch gesellschaftlich (noch) nicht mehrheitsfähige Themen “pushen”, können sie zu einem Wandel in Staat und Gesellschaft beitragen.“

Eine solcher Wirkungskreis ist die fortschreitende Arbeit an Systemänderungen zu Themen, die in der Agenda 2030 enthalten sind. Bei dem Stiftungsgespräch 2020 „Foundation for Future“ war das Thema natürlich Teil der Diskussionen. Als Nora Wilhelm das Gremium fragte, wie sie ihre Finanzierungsmechanismen und -strategien anpassen, um den systemischen Wandel zu fördern, antwortete Manuela Balett, Geschäftsführerin der Leopold Bachmann Stiftung: „Wie man den systemischen Wandel finanziert, ist eine schwierige Frage, die uns beschäftigt, und ich würde mir wünschen, dass wir als Grundlage den Wandel gemeinsam angehen und die notwendige Reflexionsarbeit leisten, beginnend bei uns selbst und unseren Partnern.“

Das wollte die Arbeitsgruppe „Funding Systemic Change“, die aus dem Nova Helvetia-Prozess der collaboratio helvetica im Jahr 2020 hervorgegangen war, mitinitiieren. Um die Herausforderung besser zu verstehen, haben wir eine Reihe von Interviews mit Interessengruppen sowohl mit einzelnen Stiftungen, ihren koordinierenden Verbänden als auch mit der Wissenschaft in der Schweiz und in Liechtenstein geführt. Dieser Erkenntnisprozess mündete in eine Online-Lernsitzung, an der 7 Stiftungen sowie VLGST und Stellvertreter des Zentrums für Philanthropie in Genf teilnahmen. In dieser Sitzung teilten wir einige der bisher gesammelten Erkenntnisse, die wir auf einem Whiteboard zusammengefasst hatten, und sammelten weitere Erkenntnisse zu den Herausforderungen, Chancen und Best Practices bei der Finanzierung systemischer Veränderungen.

Basierend auf den Ergebnissen konzipieren wir nun gemeinsam mit verschiedenen Partnern eine Reihe von vertiefenden Workshops für Stiftungen zu mehreren im Prozess identifizierten Themensträngen. 

Themenübersicht

Welchen Herausforderungen sehen sich Stiftungen in der Schweiz und in Liechtenstein heute gegenüber, wenn es darum geht, sich auf die angestrebte neue Art der Zusammenarbeit und Finanzierung des systemischen Wandels einzustellen? Basierend auf unseren Gesprächen haben wir sie in fünf Themenbereiche zusammengefasst:

  • Ein fairer und effizienter Auswahlprozess zur Identifizierung der richtigen Partner: Mit begrenzten Ressourcen für die Zuweisung und Verwaltung der zu verteilenden Mittel stehen Stiftungen vor der Herausforderung, Auswahlprozesse zu gestalten, die dazu führen, dass die wirkungsvollsten Projekte unterstützt werden. Auch wenn es weiterhin Kompromisse geben wird, sehen die TeilnehmerInnen vor allem Potenzial, die Bewerbungs- und Auswahlprozesse zu verbessern (z. B. durch Zusammenarbeit oder Peer-Reviews), um bessere Ergebnisse zu erzielen.

    „Wir müssen uns bewusst sein, welche Kriterien wirklich wichtig sind, um Wirkung zu erzielen und dementsprechend faire Auswahlprozesse gestalten.“ - Alessandro Semeraro, Vorstand der Stiftung Wegweiser
    „Wir sollten unsere Unterstützung auf die Menschen und nicht auf Projekte konzentrieren. Dabei müssen wir vielleicht unseren Fokus auf Ziele, Wirkung und Messung überwinden und stattdessen herausragende Menschen und ihre Fähigkeit unterstützen, die sich individuell und kollektiv auf schnelle und tiefe Lernprozesse einlassen.“ - David Keller, Geschäftsführer der Arthur-Waser Stiftung.

  • Agile Führungsstrukturen mit diversen und vorausschauenden Vorstandsmitgliedern: Der Vorstand ist eine wichtige Institution innerhalb einer Stiftung. Zu starre Strukturen und ein Mangel an Erneuerung und Vielfalt unter den Vorstandsmitgliedern wurden von den TeilnehmerInnen als Hindernisse für Innovationen identifiziert. 
    „Es ist wichtig, dass wir die Vielfalt in den Vorstandsgremien erhöhen, insbesondere in Bezug auf Alter und Denkweise. Wir müssen die neue Generation an den Tisch bringen.“ - Laetitia Gill, Exekutivdirektorin am Genfer Zentrum für Philanthropie, Universität Genf.
    „Der Mut, den Vorstand auszuwechseln, kann Veränderung auslösen. Das ist in unserer eigenen Stiftung passiert - und das hat viel ausgelöst.“ - Katia Weibel, stellvertretende Geschäftsführerin der Mercator Stiftung.

  • Angepasste und innovative Finanzierungsmechanismen für systemische Veränderungsprojekte: Systemwechsel ist eine neue Ebene des Handelns, mit der neue und eigene Herausforderungen und Strategien einhergehen. Bei der Suche nach Lösungen für ein komplexes Problem müssen Stiftungen Innovationsprozesse unterstützen, anstatt sich auf die Definition von Ergebnissen zu konzentrieren. Dies erfordert einen Struktur- und Mentalitätswandel innerhalb vieler Stiftungen.

    „Stiftungen müssen einige ihrer Annahmen überprüfen, um Projekte zur Systemveränderung zu unterstützen, und bereit sein, Risiken einzugehen. Scheitern ist Teil des Lernprozesses und entscheidend für Innovation“ - Katia Weibel, stellvertretende Geschäftsführerin der Mercator Stiftung.

    „Wenn es darum geht, systemische Veränderungen zu finanzieren, ist eine unternehmerische Einstellung und Denkweise notwendig, um individuelle Ideen zu skalieren. Oft fehlt es an einem Investoren-Mindset - anders denken, die neue Realität akzeptieren. “ - Rudi Hilti, Gründungsvorsitzender des THEHUS.institute und der System Change Foundation.

  • Geeignete Mechanismen, um Wirkung und Lernen zu messen: Die TeilnehmerInnen betonten, dass es hilfreich sein könnte, vorhandene Modelle zu überprüfen, um Projekte auf der Ebene des systemischen Wandels zu bewerten. Es sollten nicht nur die Ziele und Zeitpläne der Wirkungs- und Lernmessung überprüft werden, sondern auch die als wertvoll erachteten Ergebnisse, beispielsweise die Bewertung von Beziehungen und die Gemeinschaftsbildung.

    „Stiftungen stellen ihre eigenen Wirkungsmodelle nicht genug in Frage. Zum Beispiel bei der Kulturfinanzierung: Welcher Impact zählt wirklich?“ - Andreas Geis, Leiter Finanzierung, SKKG Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte

  • Ehrgeizige Zusammenarbeit zwischen Stiftungen: Wie die erwähnten Berichte gezeigt haben, kann viel erreicht werden, wenn Stiftungen übergreifend zusammenarbeiten. Es ist nie einfach, über das eigene System nachzudenken und es zu ändern, und Stiftungen profitieren von der Zusammenarbeit, um die gewünschten Ergebnisse zu erzielen und um voneinander zu lernen.

    „Eine Änderung der Denkweise ist immer eine Herausforderung. Das ist auch bei Stiftungen nicht anders. Aber eine koordinierter Ansatz von 2-3 größeren Stiftungen könnte den Ball ins Rollen bringen.“ - Linda Sulzer, Projektmanagerin bei Engagement Migros.

Basierend auf diesen vielschichtigen Erkenntnissen ist geplant, zwischen März und Mai 2021 eine Reihe von Workshops (z.B. in Basel, Zürich und Liechtenstein) zu organisieren, zu moderieren und zu dokumentieren, um den Austausch über mögliche Wege zur Bewältigung dieser Herausforderungen zu vertiefen.

Wären Sie daran interessiert, Teil dieser wichtigen Gespräche zu werden oder sie sogar mit zu moderieren? Wenden Sie sich an eine/n der Co-AutorInnen, um weitere Informationen zu erhalten. Ein grosser Dank geht an alle, die ihre Erkenntnisse bisher geteilt haben und insbesondere an unseren Partner, die Stiftung Wegweiser. Wir freuen uns auf die nächsten Schritte in dieser inspirierenden und wichtigen Entwicklung im schweizerischen philanthropischen Sektor!


Autoren

Hartmut Hübner
Liechtenstein Lab
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Boryana Milova IGNITE, Kairos Society
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Violette Ruppanner
Strategos
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Nora Wilhelm
collaboratio helvetica, Complexity Compass, University of Cambridge
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